Der Mann im Bus

Eine kleine Geschichte, die inspiriert ist von einer Schreibübung …

Ich steige in den Bus. Wie jeden Mittag. Bekannte Gesichter. Da vorn die olle Schrulle aus der Neubausiedlung, die an allem und jedem was auszusetzen hat. Hinter dem Busfahrer hat der dürre Elektriker Platz genommen, der mir jedes Mal zulächelt. Und am mittleren Fenster, wo man den meisten Platz hat, daddeln die beiden Kinder vom Schweinezüchter auf ihren Handys herum.

Ach, sieh mal an! Da hinten, der Platz über dem linken Hinterreifenpaar, wo es gelegentlich so beängstigend rubbelt, ist heute auch wieder besetzt. Eine ganze Woche fehlte der pensionierte Postbote.

Hoppla! Genau da, wo ich immer sitze, quasi also auf MEINEM Platz, sitzt ein Mann. Unverschämt! Geht überhaupt nicht. Warum ist da niemand eingeschritten?

Gut, es gibt noch freie Plätze im Bus. Aber mal ehrlich, möchten Sie sich das Gemecker der Schrulle aus der Neubausiedlung antun? Oder die Mischung aus Schweiß und Leberkäs einatmen, die der Elektriker ausdünstet? Oder das Gegiggel der Kinder ertragen? Nee, würden Sie auch nicht wollen, was?

Ich betrachte das Subjekt näher, das mir einen Platz streitig macht. Mittelalt, mittelgroß, mittelblond. Unauffällig gekleidet und eine … Herrenhandtasche auf dem Schoß. Wie krank ist das denn? Und dann sehe ich es: Da liegt ein Filzhut neben ihm. Naja, so groß ist der auch nicht. Älter als ich, viel älter. Das Mittelblond ist auch eher graumeliert.

Irgendwie kommt mir das Gesicht bekannt vor. Ich überlege. Und gerade, als der Bus quietschend und mit einem gehörigen Ruck an meiner Haltestelle stehenbleibt, da fällt es mir ein: Mein alter Klassenkamerad, der es so weit gebracht hat, dass eine Straße nach ihm benannt wurde. Die wenigsten kennen seinen richtigen Namen: Frank Markus Barwasser ist mit mir Bus gefahren und ich habe nicht mal ein Wort mit ihm gewechselt …

© Karin Schweiger 2023

Eine kleine Fingerübung – wie fanden Sie sie? Schreiben Sie es mir gern in die Kommentare!

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