Kampfthema Gendern – Versuch eines Überblicks

Es gibt wohl kaum ein Thema, das derzeit hitziger und vor allem mit mehr Hass ausgetragen wird als das sogenannte Gendern. Die Mehrheit der Befürworter argumentiert mit der Gleichberechtigung, die meisten Gegner sorgen sich um die Sprachverhunzung

Die Frage, ob eine Sprachänderung förderlich für die weitere Umsetzung von Gleichberechtigung und vor allem finanzieller Gleichstellung ist, bleibt dabei offen. Oder hätte man die Energien, die jetzt ins »Gendern« und die hitzigen Diskussionen drumherum fließen, nicht besser für die Lösung der wirklichen Gleichstellungs-Probleme genutzt?

Nebenbei: Sprache ist nichts Festgemeißeltes, Sprache ändert sich ständig. Neue Ausdrücke werden in den Wortschatz aufgenommen, andere veralten, bis sie völlig verschwinden. Aber gilt das auch für Zeichen, die eigentlich nichts in Worten verloren haben?

Was ist Gendern – und ist das der richtige Begriff?

Unter diesem Begriff versteht man einen geschlechtersensiblen Sprachgebrauch, der für eine Gleichbehandlung der Geschlechter in geschriebener und gesprochener Sprache sorgen soll. Woher kommt dieser »männerlastige« Sprachgebrauch überhaupt? Im Beruf, vor allem solchen mit umfassender Ausbildung, standen eben früher nur Männer. Da versteht es sich von selbst, dass man von dem Lehrer, dem Arzt oder dem Oekonomen sprach. Inzwischen hat sich das geändert, nur die Sprache hinkt noch hinterher. Übrigens: Nicht geschlechtergerechte Sprache gibt es auch in die andere Richtung – oder haben Sie schon mal von Krankenbrüdern gelesen? Die wurden vielmehr ohne das geringste Aufsehen zu Krankenpflegern …

Yvonne Kraus mutmaßte in ihrem Blog deshalb, dass die Diskussionen so emotional besetzt seien, weil es eigentlich um Privilegien gehe. Die Diskussion ums Gendern also als Ersatz-Diskussion für viel wichtigere Themen, für Diskussionen um die Art, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen?

Als Anglizismus verdeckt der Begriff »Gendern« allerdings, worum es konkret geht, nämlich darum, die geschlechtliche Vielfalt unserer Wirklichkeit auch sprachlich besser abzubilden. Ich bevorzuge daher die Bezeichnung »geschlechtsneutrale Sprache«.

Verstehen wir das generische Maskulinum?

Sprachwissenschaftlich bezeichnet man die männliche Form, die alle anderen mit einschließen soll, als generisches Maskulinum. Aber wenn wir jetzt tatsächlich mal in uns hineinlauschen bzw. das spontane Bild auf der inneren Windschutzscheibe analysieren – sehen wir bei dem Satz „50 Lehrer trafen sich zu einem Kongress …“ nicht doch 50 Männer? Auch wenn im Lehrerberuf inzwischen mehr Frauen als Männer arbeiten? Sprache bildet nicht nur Realität ab, sondern prägt sie auch – Studien haben bewiesen, dass mehr Frauen sich auf eine Stelle bewerben, deren Anzeigetext nicht im generischen Maskulinum abgefasst ist.

Welche Möglichkeiten der geschlechtergerechten Sprache gibt es derzeit?

Im Moment unterscheidet die deutsche Sprache zwischen Sichtbarmachung und Neutralisierung, konkret:

  • Beide Geschlechter nennen (Leserinnen und Leser / ein Autor oder eine Autorin)
    bläht Texte auf, ist schwierig zu lesen – und wie geht man dabei mit Pronomen und Adjektiven um?
  • Geschlechterneutrale Begriffe verwenden (Lehrkraft, Lesende)
    lässt sich nicht in allen Fällen realisieren und leistet der behäbigen, oft als Beamtensprache bezeichneten Substantivierung weiteren Vorschub
  • Genderzeichen (* / _ / : / Binnen-I) ins Wort einfügen, das selbst für nicht männliche und nicht weibliche Form stehen soll
    ist heikel, denn die meisten Zeichen haben eigene Bedeutungen und ein Binnen-I überliest sich leicht – zudem bleibt auch hier das Problem mit Pronomen und Adjektiven

Eine abschließende Empfehlung gibt es bislang weder aus wissenschaftlicher Sicht noch von Seiten etwa des Duden. Die Mehrheit der gegenderten Texte verwendet heute das Sternchen (Asterisk), weil das deutlich erkennbar, innerhalb von Worten nicht anders vergeben ist und auch von Seiten der Menschen mit Beeinträchtigung als barrierefrei bewertet wird.

Exotische Varianten?

Da taugt mir doch der tatsächlich schon von Anfang der Neunzigerjahre stammende Vorschlag des österreichischen Lebenskünstlers Hermes Phettberg viel besser: Der hängt jedem Wortstamm einfach ein y an (und im Plural dahinter noch ein s). Die Neukreationen sind dann alle sächlich und werden grammatisch entsprechend behandelt: Das Lehry blickt seine Schülys streng an. Gilt dann nämlich nicht nur für männliche und weibliche Lehrer bzw. Schüler, sondern auch für alle anderen bekannten und noch kommenden geschlechtlichen Formen. »Entgendern« hat er das bezeichnenderweise genannt und inzwischen eifern ihm schon einige Fachleute nach, wie z. B. Sprachdidaktiker Thomas Kronschläger von der TU Braunschweig.

Ist Gendern ein deutsches Problem?

Nein, um das Problem geschlechtsneutraler Sprache macht man sich auch in anderen Ländern Gedanken. Im Englischen greift man statt der spezifischen Pronomen (he/his, she/her) gern zum neutralen they/them oder gar zum neuen s/he. In Frankreich nennt man die geschlechtsneutrale Sprache »inklusive Schreibweise« und stürzt sich auf den Punkt: électeur und électrice (Wähler und Wählerin) verschmelzen zu électeur.rice.s (Wähler*innen). In Spanien nutzt man das @-Zeichen: compañera und compañero (Mitarbeiterin und Mitarbeiter) werden zu compañer@s (Mitarbeitende).

Ähnlich wie in Deutschland ist das Gendern auch im Ausland ein heißes Thema – die Franzosen (und fast alle Tastaturen) hadern sehr mit ihrem Mediopunkt, in Polen sträubt sich die Kirche gegen das hier weit komplexere Ändern in geschlechtergerechte Sprache. Vorreiter sind einmal mehr die skandinavischen Länder, wo das Thema schon längst durch und die geschlechtsneutrale Sprache im Alltag angekommen ist. Allerdings machen die Sprachen es auch leicht. Britisch-unterkühlt geht es im angloamerikanischen Sprachraum zu – hier ist vieles ohnehin geschlechtsneutral und der Rest wird ohne großes Brimborium ausgetauscht.

Fazit

Mir liegt es fern, meine Leser*innen (oder Lesys 😉) von der einen oder der anderen Meinung überzeugen zu wollen, ich stehe allerdings zu meiner Meinung. Und ich habe mich dazu entschieden, in meinen Texten geschlechtsneutrale Sprache zu verwenden. Im Moment verwende ich das von der Mehrheit getragene Sternchen, sehe es aber nicht als perfekte Lösung an.


Wie ist Ihre Meinung zum Gendern? Lassen Sie es mich wissen und schreiben Sie es mir in die Kommentare! Nur eine Bitte hätte ich: Bleiben Sie sachlich – ich kann mit Kritik umgehen, aber auf Hasstiraden habe ich keine Lust …

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