Kurzgeschichten: Die Würze der Kürze

Eine Kurzgeschichte ist keine kurze Geschichte – oder jedenfalls nur in sehr eingeschränkter Weise. Auf dem Genre der US-amerikanischen Short Story basierend, folgen Kurzgeschichten ganz eigenen Regeln. Hier ein kleiner Einblick

Kurzgeschichten – die Einstiegsdroge ins Schreiben – haben ihren Reiz, und zwar sowohl für Neulinge als auch für alte Hasen. Unerfahrene Autoren versuchen sich erst einmal an einer vollständigen Kurzgeschichte, bevor sie sich in einen Roman stürzen. Kurzgeschichten bieten Einsteigern wie routinierten Schreibern die Möglichkeit, sich mal auszuprobieren: neues Genre, andere Perspektive oder mehr Spannung. So mancher Etablierte hat auf diese Weise schon seine wahre Berufung gefunden. Und aus so mancher Kurzgeschichte hat sich eine tolle Romanidee entwickelt.

Aber Vorsicht, eine Kurzgeschichte ist kein abgekürzter Roman! Vielmehr sind Kurzgeschichten eine ganz eigene Literaturgattung – und schwieriger zu schreiben, als man meinen möchte.

Was ist eine Kurzgeschichte?

Die heute als Kurzgeschichte bezeichnete Gattung ist noch sehr jung. Ihre Blüte hatte sie in der Nachkriegszeit und sie basiert auf – wie könnte es anders sein? – einem amerikanischen Genre. Die Short Story folgt ganz eigenen Regeln und ist in ihrer Länge nicht exakt definiert. Vom Kalenderblatt (Kürzestkrimi, Flash Fiction) bis zur 15.000-Wörter-Novelle ist alles dabei.

Kennzeichen der Kurzgeschichte im Überblick:
– Außergewöhnliches im Alltäglichen
– Beginn mit einem Sprung in die Handlung; Ende offen
– Ein Ort, kurze Zeitspanne
– Wenig Hintergrundinformation
– Chronologisches Erzählen
– Leserschaft muss sich eigenes Urteil bilden
– Nicht jede Kurzgeschichte erfüllt alle Kennzeichen

Die Kurzgeschichte konzentriert sich auf das Wesentliche: auf einen Handlungsstrang und auf eine Hauptfigur. Hat man Anfang und Ende der Geschichte im Kopf, läuft man nicht so schnell Gefahr, sich zu verzetteln. Die Sprache in der Kurzgeschichte ist meist schlicht gehaltene Umgangssprache. Eben weil wenig Platz ist, muss jedes Wort sitzen und jeder überflüssige Satz draußen bleiben.

Wie und wo finde ich ein Thema?

Es gilt dasselbe wie für einen Roman: Überall, man muss nur hinschauen 😉 Wenn Sie Ihre Kurzgeschichte auf eine Ausschreibung oder einen Literaturwettbewerb schreiben, sind Thema, Genre und Länge meist vorgegeben – dann müssen Sie nur noch kreativ bei der Umsetzung sein. Aber denken Sie bei der Wahl Ihres Themas immer daran: Wenn Sie zu viel wollen, wenn Sie eine Romanidee in eine Kurzgeschichte pressen wollen, wird das nicht gutgehen. Die Vorgeschichte, die »große« Figurenzeichnung hat keinen Platz in einer Kurzgeschichte.

Wie baue ich den Plot, die Handlung auf?

Dem geringen Umfang geschuldet ist ein direkter Einstieg in die Handlung unabdingbar. Mehr als eine oder zwei handelnde Figuren sollten nicht dabei sein.

Kurzgeschichten sind in aller Regel geradlinig, also linear und chronologisch erzählt und beschränken sich auf einen Ort und eine kurze Zeitspanne. Ortswechsel und Zeitsprünge haben Seltenheitswert.

Die Kurzgeschichte befasst sich mit Außergewöhnlichem im Alltäglichen, d. h. sie schildert entweder eine alltägliche Situation, in der etwas Unerwartetes geschieht, oder alltägliche Personen, die in einen Konflikt geraten. Der Konflikt ist eine (existenziell bedrohliche) Krise, die durch eine scheinbare Kleinigkeit ausgelöst wird.

Und (ich weiß, ich wiederhole mich): Kurzgeschichten beschränken sich immer auf einen einzigen Handlungsstrang!

Wie zeichne ich meine Figuren?

Auch hier gilt: Weniger ist mehr. Eine Kurzgeschichte handelt mit ein oder zwei Hauptfiguren. Vom Leser zu verlangen, dass er sich in der gebotenen Kürze mit einem ganzen Ensemble vertraut macht, wäre vermessen. Meist ist die Hauptfigur eine gewöhnliche Person, mit der sich die Leser*innen identifizieren können. Die Spannung ergibt sich aus der ungewöhnlichen Situation oder dem Konflikt.

Kurzgeschichten müssen nicht zwangsläufig mit Klischees arbeiten. Je weniger Platz allerdings gegeben ist, desto eher empfiehlt es sich, etwa bei den Figuren auf Klischees zurückzugreifen. In wenigen Worten dargestellte Typen lösen beim Leser die passenden Schlussfolgerungen und Bilder vor Augen aus. Das gibt Ihnen mehr Raum für Handlung – und womöglich sogar die Chance auf einen unerwarteten Twist am Ende, wenn die Figur sich entgegen ihrem Klischee verhält.

Butter bei die Fische: Wie gelingt der Einstieg?

Wie bei jeder Geschichte: Der erste Satz muss fesseln und das Interesse der Leser*innen wecken. Bei der Kurzgeschichte gilt noch viel mehr als sonst: Ihre Leser*innen müssen auf den bereits fahrenden Zug aufspringen! Dabei bitte nie vergessen: Handlung kommt von Handeln, eine Hauptfigur muss aktiv sein oder werden. Beschreibungen und Erklärungen haben keinen Platz in einer Kurzgeschichte, erst recht nicht am Anfang.

Denken Sie auch bei der Kurzgeschichte daran: Die Leser*innen wollen die berühmt-berüchtigten W-Fragen beantwortet haben: Wer spielt die Hauptrolle, wo und wann spielt die Geschichte, aus welcher Perspektive wird die Geschichte erzählt, in welches Genre gehört sie – und was für ein Problem gibt es? Idealerweise erfahren sie das schon im ersten Absatz. Wie das Problem gelöst wird, ist Sache des Hauptteils.

Der Hauptteil

Sind Figuren, Setting und Rahmen eingeführt, erzählen Sie Ihre Geschichte. Beschränken Sie sich auf einen Handlungsstrang, lassen sie Nebenplots völlig aus dem Spiel und halten Sie sich nicht mit Nebensächlichkeiten auf. Leser von Kurzgeschichten wollen und müssen Ihre Figur nicht bis ins kleinste Detail kennen und einschätzen können – sie müssen in diesem Moment, in dieser geschilderten Situation mitfühlen können und sich mit der Figur identifizieren wollen.

Bieten Sie Ihren Leser*innen Wendungen und kleine Höhepunkt, um sie zu fesseln. Die Sprache ist prägnant und sachlich, dabei leicht lesbar. Da die Kurzgeschichte nur wenig Raum für den Aufbau von Spannung bietet, bedienen Sie sich ruhig bewährter Filmtechniken: Was dem Regisseur der schnelle Schnitt, ist dem Autor der kurze Satz, das schnelle Erzähltempo.

Wie sieht der Schluss aus?

Kurzgeschichten bieten erstaunlich viele Möglichkeiten für ein gutes Ende: Ein überraschender Twist als Pointe speist sich möglicherweise aus einer absichtlich im Klischee angelegten Figur, die sich plötzlich gar nicht mehr klischeehaft benimmt. Die Geschichte endet, bevor die eigentliche Handlung zu Ende ist, und überlässt der Leserfantasie den Rest. In jedem Fall muss auch eine Kurzgeschichte eine sinnvolle Auflösung bieten. Wenn das Ende dann noch die Botschaft der Geschichte unmissverständlich transportiert oder bei den Leser*innen eine emotionale Reaktion hervorruft, hat Autor*in alles richtig gemacht.

Und was bringt mir die (fertige) Kurzgeschichte?

Neben einem wunderbaren Training Ihres Schreibmuskels bieten Kurzgeschichten Leser*innen und Autor*innen kleine Auszeiten für zwischendurch in Form von geballter Handlung ohne viel Ablenkung. Nutzen Sie eine Ihrer Kurzgeschichten, um auszuprobieren, ob Sie mit einer Lektorin oder einem Korrektor zusammenarbeiten möchten.

Wer an eine Veröffentlichung denkt – auch das ist natürlich möglich. Präsentieren Sie gelungene Kurzgeschichten auf Ihrer Autoren-Website als Zuckerl für Ihre Leser*innen. Lassen Sie einzelne Geschichten gedruckt zu Heftchen binden und schenken Sie sie treuen Lesern oder Newsletter-Neuabonnenten. Sammeln Sie sie und geben Sie sie als Anthologie heraus – für einen guten Zweck (und die entsprechende Publicity). Kurzgeschichten eignen sich außerdem perfekt für Lesungen. Oder laden Sie sie auf der Internet-Plattform Ihres Vertrauens hoch und freuen sich über das Feedback der dortigen User.

Ebenso locken übers Jahr zahlreiche Ausschreibungen und Literaturwettbewerbe. Da sparen Sie sich sogar die Themensuche, denn dort sind Thema, Länge und oft auch Genre vorgegeben. Manchmal gibt es Preise zu gewinnen, andere Ausschreibungen dienen dazu, Texte für Literaturmagazine oder Anthologien zu rekrutieren. Unterschätzen Sie das nicht! Solche Veröffentlichungen rücken Sie als Autor*in ins Licht der Öffentlichkeit und peppen Ihre Bibliografie auf – zudem zeigen sie Agenturen und Verlagen, dass Ihre Texte Qualität haben und dass Sie Eigeninitiative ergreifen, beim Schreiben und beim Vermarkten.

Wer allerdings die Hoffnung hat, mit Anthologien reich zu werden, den muss ich enttäuschen. So unschätzbar viele Vorteile solche Kurzgeschichtensammlungen auch haben – in Verlagen und Buchhandlungen liegen sie in aller Regel wie Blei in den Regalen. Vielleicht ändert sich der Lesegeschmack irgendwann wieder …


Haben Sie schon Kurzgeschichten verfasst? Wie ging es Ihnen damit? Schreiben Sie es mir gern in die Kommentare!

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