Show, don’t tell – was hat es damit auf sich?

Wohl jeder angehende Autor, der schon mal einen Schreibkurs besucht oder einen Schreibratgeber gelesen hat, kennt diese Maxime modernen Schreibens: Show, don’t tell – zu Deutsch: Zeigen Sie es statt es zu erzählen.

Wenngleich es eine Menge hochgeschätzte Werke der Weltliteratur gibt, die erzählend (narrativ) in ihren Bann ziehen, ist moderne Literatur szenisch geschrieben. Die Leserschaft erwartet so etwas wie einen Kinofilm vor den Augen – und eben nicht die Nacherzählung eines solchen Films. Einer der bekanntesten modernen Autoren, der das szenische Erzählen bis zur Perfektion getrimmt hat, ist Frank Schätzing. Er sagt von sich selbst, dass seine Geschichten, die Plots auch wie ein Actionfilm in seinem Kopf ablaufen. Genau so schreibt er sie dann nieder.

Was erreicht man mit szenischem Erzählen?

Freilich ist es für die Leserschaft interessanter, anhand von Handlung und Tonfall selbst zu erleben, dass Anton ein jähzorniger Mensch ist. Wenn Sie in Ihrem Text nur schreiben: »Anton war ein Choleriker.«, dann muss Leser*in das glauben. Sprich: Ihre Leser*innen kommen sich ein Stückweit bevormundet vor. Wenn Anton dagegen wegen Nichtigkeiten rote Flecken im Gesicht hat, die Faust auf den Tisch donnert und unflätige Schimpfworte faucht wie Omas Kaffeemaschine kurz vorm Explodieren, dann kann Leser*in selbst entscheiden, ob er/sie den Hauptcharakter Ihres Buches für einen Hitzkopf oder für einen harmlosen Spinner hält.

Schreibtrainerin Dr. Anette Huesmann fasste narratives Erzählen in dem Satz zusammen: »Das Erzählte ist rational nachvollziehbar, aber nicht emotional spürbar.« Beim szenischen Erzählen kann man sich alles bildlich vorstellen, die Leser*innen fühlen, was die Figur fühlt. Man ist beträchtlich näher an den Figuren. Der Erzähler tritt dabei in den Hintergrund, die Leserschaft kann sich besser mit dem Charakter identifizieren, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Das erreicht man durch handelnde Figuren, durch Dialoge und durch die Schilderung von Sinneseindrücken – und zwar aller fünf Sinne. Unsere Figur hört und sieht also nicht nur, sie riecht auch, sie ertastet oder erfühlt etwas und wenn es passt, schmeckt sie auch.

Nicht doppelt gemoppelt

Haben Sie den Mut, Ihrem eigenen Geschriebenen zu trauen! Wenn Sie etwas beschrieben haben, dann müssen Sie es nicht noch einmal erklärend behaupten.

»Dein verfickter Kater ist mir scheißegal!«, schrie Anton wütend. Aus der wörtlichen Rede geht schon hervor, dass Anton wütend ist. Man vermutet auch, dass der Mann das nicht leise säuselt. Wenn nicht unbedingt erwähnt werden muss, dass Anton spricht, dann lassen Sie das Inquit weg.

»Mayer wischte sich die Hand an der Hose ab und zupfte dann am Revers seines Jacketts herum. Er war nervös.« Deutlicher können Sie kaum zeigen, dass Mayer nervös ist – sparen Sie sich also die Erklärung und lassen den letzten Satz weg.

Und was ist mit der Spannung?

Im szenischen Erzählen lassen sich verschiedene Elemente einsetzen, die die Erzählung beschleunigen oder verlangsamen. Der Tunnelblick etwa ist ein stark beschleunigendes Element. Hier wird alles, aber auch wirklich alles weggelassen, was nicht zum unmittelbaren Interessenszentrum gehört. Keine Gedanken, keine Beschreibung des Umfelds, keine Hintergrundinfos. Es gibt nur Ihre Heldin und deren Problem.

Steigern können Sie den Tunnelblick durch Stressfaktoren. Am besten, Sie halten sich an den alten Merksatz »ein Unglück / Problem kommt selten allein«. Das setzt Ihre Figur ordentlich unter Druck und sorgt für Spannung. James Bond kämpft nie mit einem Problem allein – die Bösewichte sind ihm auf den Fersen, der einzige Fluchtweg ist eine schwarze Abfahrt (und er hat gerade keine Klapp-Ski in der Tasche), in sein Ohr quäkt jemand, dass der Hubschrauber mit den Scharfschützen soeben in die Luft gegangen ist (und weit und breit kein Fels für Deckung in Sicht). Außerdem hat er maximal noch zehn Minuten, um die Welt vor dem Atomschlag zu retten. Sie dürfen sich austoben – nur Vorsicht! Jedes Element muss weitergesponnen werden. Wenn die Scharfschützen sich in Luft auflösen, hat Ihr Held zwar ein Problem weniger, Sie aber eines mehr.

Das Erzähltempo drosseln Sie beispielsweise mit Beschreibungen. So etwas bremst die Handlung vollständig aus, »Äktsch’n« gibt es erst wieder, wenn die Figur ihre Aufmerksamkeit vom beschriebenen Detail abwendet. Damit gewähren Sie Ihren Lesern zum Beispiel Atempausen – aber Vorsicht: Die Aufmerksamkeit Ihrer Figur vermittelt Leser*in, dass dem Beschriebenen Bedeutung zukommt. Sie sollten also Ihre Figur nicht detailliert mit jemandem oder etwas beschäftigen, wenn das für die Geschichte irrelevant ist.

Ähnlich wie Beschreibungen nehmen auch Gedanken, Erinnerungen und Rückblenden das Tempo aus der Erzählung. Solche »inneren Monologe« haben ihre Tücken, hinterfragen Sie lieber mehrfach, ob Sie nicht doch darauf verzichten können. Die Gefahr, in eine narrative Erklärung abzurutschen, ist groß. Auch sollte dieses szenische Element nicht dazu dienen, Leser*innen etwas zu erklären – noch viel weniger dazu, dass sich der/die Autor*in über den Stand der Dinge klar wird.

Wo sind die Grenzen?

Wer nun meint, dass narratives Erzählen ein No-Go in modernen Romanen ist, den muss ich leider enttäuschen. Beide Arten haben ihre Berechtigung – sie haben schlichtweg unterschiedliche Funktionen. Sie müssen also beides einzusetzen wissen.

Show dient dazu, Nähe zur Figur zu schaffen, einen Film im Kopf der Leser*innen ablaufen zu lassen, sie in die Figur hineinschlüpfen zu lassen. Damit zieht man die Leserschaft in die Geschichte hinein. Das unabdingbare Mittel der Wahl also für alle wichtigen Szenen Ihres Romans. Allerdings braucht szenisches Erzählen in aller Regel auch mehr Platz (bzw. Worte) als narratives.

Tell dient dazu, Distanz zu schaffen, auch zu einem Geschehen oder einer Figur. Und es dient dazu, Zeiträume zu raffen, die für die Geschichte keine Bedeutung haben. Sie – und Ihre Leser*innen – wollen nicht wirklich zusehen, wie Magdalena verschlafen in Schlüppkes und Nachthemd in die Küche schlurft, den Hahn aufdreht und den Wasserkocher füllt, ihn auf seine Platte setzt und anschaltet, wie sie mit der einen Hand die Kanne von der Spüle nimmt, mit der anderen Hand den Porzellanfilter aufsetzt, einen Papierfilter aus der Packung im Schrank friemelt und ihn an seinen Platz steckt … Das ist zwar zu hundert Prozent szenisch, aber auch zu null Prozent spannend. Ausnahme: Jack the Ripper lauert hinter der Tür und die Leser*innen wissen das. Für jeden anderen Plot gilt: Magdalena kochte sich einen Kaffee.

Für wichtige, emotional aufgeladene Szenen ist »Show« also unerlässlich. Alles, was Emotionen in uns anspricht, bleibt im Gedächtnis – deshalb wirken Geschichten ja auf Menschen, weil sie Gefühle ansprechen. Und Bilder erzeugen Gefühle.

»Tell«, also narrative Einschübe, vermitteln den Leser*innen Orientierung, zeitlich und räumlich. Denn zwischen zwei spannenden Szenen mag ein Tag oder ein Monat Zeit liegen oder sie spielen an verschiedenen Orten. Ihre Leser*innen müssen Sie aber mitnehmen, sonst fühlen die sich verloren. Machen Sie es beispielsweise wie Joanne K. Rowling und lassen das Kapitel mit dem Satz »Weihnachten stand vor der Tür« beginnen.

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