Das Remissionsrecht im Buchhandel, einst »erfunden«, um auch anderen Werken als sicheren Bestsellern ein Plätzchen im Buchladen zu ermöglichen, ist in den vergangenen Jahren in Verruf geraten. Das liegt aber nicht am Grundgedanken.
Interessanterweise definiert der Duden Remittende als »beschädigtes oder fehlerhaftes Druck-Erzeugnis, das an den Verlag zurückgeschickt wird.« Und genau so kennen Normalverbraucher das ja auch: Ist die Ware fehlerhaft, kann ich sie beim Einzelhandel zurückgeben – und bekomme entweder einwandfreie Ware im Austausch oder mein Geld zurück.
Was ist im Buchhandel anders?
Einst räumte man dem Einzelhandel für Zeitschriften und Zeitungen, die nicht verkauft werden konnten, ein Rückgaberecht ein. Im Laufe der Jahre griff dieses Rückgaberecht auch auf Buchverlage über. Inzwischen sind im Buchhandel entsprechende Vereinbarungen in den Liefer- und Zahlungsbedingungen gang und gäbe, die es dem Einzelhandel ermöglichen, nicht verkaufte Bücher gegen Erstattung des bezahlten Preises über die Großhändler (oder bei Direktbestellung auch direkt) an die Verlage zurückzugeben. Das gesamte Absatzrisiko trägt damit der Verlag.
Aber warum lassen Verlage sich auf sowas ein? Ganz einfach: Gäbe es diese Vereinbarung nicht, würde der Buchhandel nur noch die gängigsten Titel anbieten. Niemand im Einzelhandel blockiert sich mit (bezahlter) Ware das Lager, wenn nicht ziemlich sicher ist, dass diese Ware auch verkauft wird. Das wäre das Aus für Nachwuchsautoren und speziellere Titel …
So nimmt es nicht wunder, dass im Rahmen beispielsweise der Selfpublisher-Bibel-Umfrage von 2019 durchaus Stimmen von Selfpublishern laut wurden, die sich etwa von Tredition wünschten, den Buchhändlern Remissionsrecht einzuräumen. Inzwischen gibt es auch für E-Books und Print-on-Demand-Bücher immer häufiger ein Rückgaberecht. Und dieses Remissionsrecht ist bei Grossisten und Verlagen nicht selten ein gern genutztes Verkaufsargument.
Was passiert mit den zurückgeschickten Büchern?
Sofern die Bücher überhaupt (körperlich) zurückkommen und dann auch noch in einem ordentlichen Zustand sind, kann der Verlag erneut versuchen, sie zu verkaufen. Dabei dürfen wegen der Buchpreisbindung keine Sonderangebots-Aktionen gestartet werden. Bücher mit kleineren Beschädigungen werden Mängelexemplar genannt und dürfen dann als solche billiger verkauft werden.
Natürlich ist der Versuch, Bücher zu demselben Preis zu verkaufen, zu denen die Buchhandlung sie schon nicht losschlagen konnte, nicht besonders erfolgversprechend. Kreative Köpfe sind deshalb schon auf die Idee gekommen, solche Bücher als »Mängelexemplare« zu deklarieren, um sie dann im modernen Antiquariat billiger verkaufen zu können. Allerdings verstehen der Börsenverein und die Preisbindungstreuhänder da wenig Spaß. 18 Monate müssen die Verlage ab Veröffentlichung warten, bis sie einen Titel verramschen dürfen. Auch Bücher tragen ein immer kürzer werdendes »Verfallsdatum«, sprich: Sie werden immer schneller durch neue Titel verdrängt.
Wie bitte? Die kommen kaputt oder gar nicht zurück?
Otto Normalverbraucher würde es für selbstverständlich halten, dass derart zurückgegebene Bücher sich in dem einwandfreien Zustand befinden, in dem sie angeliefert wurden. Und dass da Fristen einzuhalten sind. Weit gefehlt! Da kann es schon mal zwei Jahre nach Kauf sein, dass erhebliche Mengen Bücher zurückkommen. In den meisten Fällen kommen die Bücher aber nicht einmal mehr zurück, sondern werden vom Großhändler vor Ort vernichtet. Der Verlag muss trotzdem eine Gutschrift ausstellen. Und – auch schon vorgekommen – gelegentlich kommen von 100 verkauften Büchern dann 98 mit Wasserschaden und Kaffeeflecken zurück. Unbrauchbar, aber sie müssen trotzdem rückerstattet werden.
Woran liegt das? Am Kleingedruckten. Aber nicht daran, dass man seitens der Verlage eben dieses Kleingedruckte nicht aufmerksam gelesen hätte. Vielmehr hat der Großhandel, also die Stelle zwischen Verlag und Buchhandlung, inzwischen so viel Größe, Macht und Monopolstellung gewonnen, dass solche Konditionen diktiert werden. Friss oder stirb, lautet das Motto. Die Stirn bieten können den Buch-Grossisten nur die Großen aus der Verlagswelt.
Was macht das mit Kleinverlagen?
Das Remissionsrecht sei ein »anderes Wort für den sicheren Weg in den Untergang der Kleinverlage«, schrieb Nicole J. Küppers schon vor über zehn Jahren für ngo-online. Man darf dabei nicht vergessen, dass nicht mal zwei Prozent der Verlage in Deutschland mit ihren Büchern regelmäßig in den Bestenlisten auftauchen. Sicher, auch einem großen oder größeren Verlag tun Remittenden weh, aber bei kleinen und Kleinstverlagen ist die Remissionspraxis nicht selten existenzbedrohend.
Ein Beispiel, damit es greifbarer wird? Der Kleinverlag bringt einen Titel heraus, vorsichtig kalkulierte Erstauflage: 500 Stück. Der Großhandel bestellt munter und bezahlt auch pünktlich. Im Kleinverlag schießen die Korken an die Decke, die zweite Auflage wird geplant, die Autorin oder der Autor erhält sein Honorar ausbezahlt. Zwei Jahre später flattert die computergestützte Abrechnung ins Haus: Neunzig Prozent der gekauften Bücher haben sich im Buchhandel nicht verkaufen lassen. Sie wurden dem Altpapier zugeführt. »Bitte stellen Sie uns die entsprechende Gutschrift aus!«
Die Buchhaltung läuft Amok, Autoren müssen darüber aufgeklärt werden, dass doch nichts verkauft wurde, und die gerade gelieferte zweite Auflage kann ohne Umwege gleich in die Tonne. Können Sie sich ausmalen, wie die Liquidität eines Kleinverlags danach aussieht? Immerhin finanzieren die sich in aller Regel aus eigener Kraft und ohne staatliche Fördermittel.
Das erinnert ein bisschen an die Debatte über Handelsgepflogenheiten im Supermarkt, weggeworfene Lebensmittel und den gnadenlosen Verdrängungskampf.
Und Amazon?
Ein Unglück kommt ja bekanntlich selten allein und so gesellt sich zur ohnehin schon in Schieflage geratenen Situation in Sachen Remission noch ein weiteres Problem. Ich weiß nicht, ob man Amazon als allein Schuldigen dafür anprangern kann, aber zumindest hat Jeff Bezos’ Konzern die Trendwende erheblich befeuert. Die Rede ist von der immer weiter um sich greifenden Mentalität bei Online-Bestellungen, die (fast) alle Branchen betrifft: Die Kunden bestellen drei oder vier verschiedene Modelle, suchen sich zu Hause eines aus und schicken den Rest wieder zurück. Der Onlinehandel hat aus dem Bug geschickt ein Feature gemacht und fährt damit – allen Müllbergen aus Retourware zum Trotz – offenbar finanziell gut.
Gerhard Beckmann hat vor einigen Monaten für buchmarkt.de seine Analyse des Amazon-Gebarens mit »Totales Desaster für die gesamte Buchbranche« überschrieben. Er zitiert einen Wiener Verleger mit den Worten: »Seit Wochen ist es so, dass es keinen Tag ohne Remissionen gibt. Dass wir, beinahe Tag für Tag, Negativ-Umsätze machen. Die Remissionsquoten sind dermaßen drastisch in die Höhe geschossen, dass sie wertmäßig über den Einnahmen aus Verkäufen liegen.« Die Zahl der Remittenden liegt seinen Worten zufolge beim unabhängigen Buchhandel zwischen 10 und 15 Prozent, beim Großfilialisten eher bei 25 Prozent und mehr. Mit Corona sei das generell mehr geworden, aber Amazon schieße den Vogel ab – hier liegt die Remissionsquote wohl regelmäßig zwischen 30 und 50 Prozent, manchmal noch höher.
Warum ist das so? Abgesehen natürlich von der Marktmacht Amazons, der seine Vertragspartner nach Belieben gängeln kann. Beckmann und der von ihm zitierte Verleger sehen den Grund darin, dass Bestellungen bei Amazon nicht von Menschen kalkuliert und getätigt werden, sondern von Künstlicher Intelligenz. Da läuft dann öfters mal eine Großaktion des Onlineriesen fehl. Macht ja nichts, die Bücher gehen dann ohne finanziellen Verlust für Amazon zurück an die Verlage.
Nicht mal der Handel mit E-Books ist vor dieser Praxis geschützt. Amazon gibt auch für E-Books 14 Tage Rückgaberecht. Selbst Nicht-Schnellleser können zumindest Romane normaler Länge in dieser Zeit problemlos durchschmökern. Die Bücher werden also gelesen und dann zurückgegeben. Das Nachsehen haben Verlag und Autor*in.
Nicht wenige fühlen sich vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Stich gelassen. Umso höher kochten die Emotionen, als auch noch Gerüchte die Runde machten, der Börsenverein stünde mit Amazon hinsichtlich einer Mitgliedschaft im Gespräch.